Richtiges Verständnis - Abgeklärtheit


"Unsere Unzufriedenheit entsteht auf Grund unseres falschen Verständnisses.

Weil wir keine Zurückhaltung im Sinnlichen haben,
machen wir die äußeren Umstände für unser Leiden verantwortlich...

...Der wahre Ort für Mönche zum Verbleiben,
der Ort der Kühle, der Abgeklärtheit,
ist richtiges Verständnis an sich.

Wir brauchen nach nichts anderem zu suchen."


Weil die Wahrheit tatsächlich gegen unser Begehren geht, gibt es Schwierigkeiten, wenn wir versuchen, das Dhamma zu praktizieren. Unsere Gewohnheiten und die Praxis widersprechen sich. Manche Dinge, die wir für falsch halten, mögen richtig sein, während Dinge, die wir als richtig sehen, falsch sein können. Woher kommt das? Das kommt daher, dass wir die Wahrheit nicht sehen, weil unser Geist verdunkelt ist. In Wirklichkeit wissen wir nichts und werden durch die Lügen der Leute irre geführt. Sie deuten auf das, was richtig ist, und sagen, es sei falsch. Das Falsche halten sie für richtig, und wir glauben das. Genauso belügen uns unsere Stimmungen fortwährend. Solange wir uns von unserem Geist mit seinen Meinungen, der die Wahrheit nicht kennt, führen lassen, sind wir nicht unserer eigener Herr.

Manche Menschen wollen überhaupt nicht auf andere hören; aber das ist nicht die Art des Weisen. Wer weise ist, hört sich alles an. Wenn man Dhamma-Vorträge hört, muss man genau zuhören, egal ob es einem gefällt, was man hört, oder nicht. Man sollte nie etwas blindlings glauben oder es von vornherein ablehnen, sondern in der Mitte verweilen. Wir dürfen nicht achtlos sein und sollten gut zuhören und dann darüber nachdenken, um die Sache zu verstehen.

Der Weise denkt nach und ergründet Ursache und Wirkung für sich selbst, ehe er etwas glaubt. Selbst wenn der Lehrer die Wahrheit sagt, solange ihr sie nicht für euch selbst erkannt habt, dürft ihr ihm nicht einfach glauben. Das bezieht sich auch auf das, was ich zu euch sage. Ich habe schon vor euch praktiziert und bin vielen Lügen begegnet, wie zum Beispiel, dass die Praxis wirklich kompliziert und schwierig sei. Warum ist die Praxis schwierig? Nur weil wir die falsche Vorstellung haben.

Zuerst habe ich mit anderen Mönchen zusammengelebt, aber das hat mir nicht gelegen, und so flüchtete ich in den Wald oder auf die Berge. Ich bin vor den Leuten, den Mönchen und den Novizen davongelaufen. Ich dachte, dass die anderen Mönche mir nicht ebenbürtig wären, denn sie versuchten nicht so intensiv zu praktizieren wie ich. Sie waren zu nachlässig. Einige hatten diesen Fehler, andere passten mir nicht aus anderen Gründen. Das hat mich wirklich durcheinander gebracht und war der Grund für mein fortwährendes Weglaufen. Aber ob ich nun alleine oder mit anderen zusammenlebte war egal, ich konnte keinen Frieden finden. Alleine war ich nicht zufrieden, in einer großen Gruppe war ich auch nicht zufrieden. Ich hielt meine Mitmenschen, meine Stimmungen, meine Wohnverhältnisse, das Essen, das Wetter, dies oder das für den Grund meiner Unzufriedenheit und suchte laufend nach etwas, das mir passte.

Schließlich ging ich als Dhutanga-Mönch[31] auf Reisen. Da mir aber die Dinge immer noch nicht passten, habe ich viel darüber nachgedacht, was ich nur tun konnte, um die Dinge richtig zu machen. Mit vielen Leuten zu leben, war unbefriedigend, mit wenigen Leuten ebenso. Ich konnte das nicht verstehen. Warum war ich unzufrieden? Weil ich das falsche Verständnis hatte; Nur deswegen. Ich hielt am falschen Dhamma fest. Überall wo ich hin kam, war ich unzufrieden und dachte: "Hier ist es nicht gut, da ist es nicht gut..."; es ging immer so weiter. Die anderen wurden für schuldig gehalten, oder das Wetter hat mir nicht gepasst, es war zu heiß oder zu kalt. Alles mögliche habe ich für meine Unzufriedenheit verantwortlich gemacht. Wie ein tollwütiger Hund, der alles beißt, was er trifft, weil er wahnsinnig ist. In dieser Verfassung ist der Geist niemals ausgeglichen und ruhig. Heute geht es uns gut und morgen schlecht; und so geht es die ganze Zeit. Wir finden keinen Frieden.

Buddha sah eines Tages einen wilden Hund aus dem Wald gerannt kommen. Der Hund stand für einen Moment still, dann rannte er ins Gebüsch, um einen Moment später wieder herauszukommen. Er rannte zu einem hohlen Baumstamm, verschwand darin und kam wieder hervor. Danach rannte er in eine Höhle und kam wieder heraus. Für einen Moment stand er still. Im nächsten Moment rannte er wieder. Dann legte er sich hin um kurz danach wieder auf zu springen. Der Hund hatte die Räude. Wenn er still stand, brannte die Räude auf seiner Haut, deshalb rannte er. Aber im Rennen war es auch nicht besser, und so blieb er wieder stehen. Das Stehen brachte keine Erleichterung, so legte er sich hin. Das half auch nichts, er sprang wieder auf und rannte ins Gebüsch und dann in den hohlen Baum. Er konnte nicht aufhören.

Buddha sagte zu seinen Schülern: "Habt ihr den wilden Hund heute Nachmittag gesehen? Im Stehen, im Liegen, im Sitzen und im Rennen hat er gelitten. Im Gebüsch, im hohlen Baum und in der Höhle hat er gelitten. Erst hat er das Stillstehen für den Grund des Leidens gehalten, dann das Rennen, danach das Sitzen, und später das Liegen; Er hat das Gebüsch, den Baum und die Höhle verantwortlich gemacht. Doch tatsächlich lag das Problem in keinem dieser Dinge. Der Hund hatte die Räude."

Uns Mönchen geht es genauso wie dem wilden Hund. Unsere Unzufriedenheit entsteht auf Grund unseres falschen Verständnisses. Weil wir keine Zurückhaltung im Sinnlichen haben, machen wir die äußeren Umstände für unser Leiden verantwortlich. Egal, ob wir hier im "Kloster Wat Pah Pong", in Amerika oder in London leben, wir sind nicht zufrieden. Selbst wenn wir ins "Kloster Wat Bung Wai" oder in irgendeine andere Zweigstelle gehen, sind wir nicht zufrieden. Warum nicht? Weil wir das falsche Verständnis haben; nur das ist es. Wo wir auch hingehen, sind wir unzufrieden.

Die meisten von uns haben das falsche Verständnis. Es geht uns wie den Maden. Die Made lebt im Unrat, ihre Nahrung ist der Schmutz, aber das gefällt der Made. Wenn wir einen Stock nehmen und die Made damit von ihrem Haufen Dreck herunterbefördern, bemüht sie sich mit all ihrer Kraft, wieder dorthin zurückzukriechen. Genauso geht es uns, wenn uns die Lehrer das richtige Verständnis vermitteln wollen. Es macht uns unbehaglich und widerstrebt uns. Wir rennen zu unserem "Haufen Dreck" zurück, denn dort fühlen wir uns zu Hause. Wir sind alle so. Wenn wir nicht die schädlichen Konsequenzen all unserer falschen Ansichten erkennen, können wir sie nicht aufgeben, und die Praxis wird schwierig. Deshalb sollten wir gut zuhören. In der Praxis geht es um nichts anderes als richtiges Verständnis.

Mit richtigem Verständnis sind wir überall zufrieden, ganz gleich wo wir uns befinden. Das habe ich praktiziert und kann es bestätigen. Heutzutage kommen sehr viele Mönche, Novizen und Laien zu mir, um mich zu sehen. Wüsste ich nicht Bescheid und hätte immer noch das falsche Verständnis, wäre das nicht auszuhalten. Der wahre Ort für Mönche zum verbleiben, der Ort der Kühle, der Abgeklärtheit, ist richtiges Verständnis an sich. Wir brauchen nach nichts anderem zu suchen.

Und selbst wenn es euch nicht gut geht, macht das nichts, denn Unwohlsein ist unbeständig. Ist das Unwohlsein etwa euer Selbst? Hat es Substanz? Ist es wirklich? Ich sehe es überhaupt nicht als wirklich an, Unwohlsein ist nur ein Gefühl, das auftaucht und wieder verschwindet. Mit dem Wohlsein ist es das gleiche. Ist Wohlsein beständig? Hat es ein wirklich anhaltendes Dasein? Es ist auch nur ein Gefühl, das plötzlich kommt und wieder verschwindet; das entsteht und vergeht. Wie auch die Liebe, sie lodert für einen Moment auf und vergeht dann wieder. Wo gibt es Beständigkeit in Liebe, Hass oder Groll? In Wirklichkeit ist darin keine Beständigkeit zu finden, es sind nur Eindrücke, die plötzlich erscheinen und dann wieder weg sind. Sie täuschen uns fortwährend, es ist kein Verlass auf sie. Buddha sagte: "Wenn Unwohlsein erscheint, bleibt es für eine Weile und vergeht dann wieder. Wenn das Unwohlsein aufhört, entsteht Wohlsein. Das Wohlsein hält für eine Weile an und vergeht wieder. Wenn das Wohlsein aufhört, fängt wieder Unwohlsein an... und so geht es weiter und weiter."

Letztendlich können wir nur eines sagen: Außer dem Entstehen, dem Dasein und dem Vergehen von Leiden gibt es weiter nichts. Das ist wirklich alles. Aber wir, die unwissend sind, rennen dem Leiden hinterher und halten es fest. Wir haben nicht die Einsicht, dass sich da einfach nur dieser fortwährende Wechsel abspielt. Wird das aber verstanden, brauchen wir nicht mehr viel nachzudenken, denn wir sind weise. Wenn wir das nicht erkennen, können wir noch so viel nachdenken, es fehlt uns die Weisheit. Bis wir die schädlichen Ergebnisse unseres Handelns einsehen, können wir es nicht aufgeben. Das gilt auch für die Praxis. Bis wir nicht ihren wirklichen Nutzen erkennen, können wir dem Weg der Praxis nicht folgen und den Geist "gut" machen.

Wenn wir einen Baumstamm in den Fluss werfen und dieser Stamm nicht verrottet und untergeht oder an einer der beiden Uferseiten des Flusses auf Grund läuft, wird er ins offene Meer gespült. Das können wir mit unserer Praxis vergleichen. Folgt man gerade dem Weg, den Buddha uns gezeigt hat, werden zwei Dinge transzendiert. Welche zwei Dinge? Genau die zwei Verhaltensweisen, von denen Buddha sagte, sie seien nicht der Weg des Meditierenden, nämlich sich im Vergnügen oder in schmerzhaften Gefühlen gehen zu lassen. Das sind die beiden Ufer des Flusses. Eines der Ufer ist der Hass, das andere ist die Liebe. Oder wir können sagen, das eine Ufer ist die Glückseligkeit und das andere ist das Unglücklichsein. Der Baumstamm ist der Geist. Während er den Fluss (des Lebens) hinunter treibt, erlebt er Glückseligkeit und Unglücklichsein, und wenn er nicht an diesen beiden Extremen festhält, erreicht er den Ozean von Nibbana. Ihr müsst verstehen, dass es nichts weiter gibt, als das Entstehen und Vergehen von Glückseligkeit und Unglücklichsein. Wenn ihr daran nicht "auf Grund lauft", seid ihr auf dem Weg eines wahren Meditierenden.

Das ist die Lehre Buddhas. Glückseligkeit und Unglücklichsein oder Liebe und Hass sind einfach natürliche Erscheinungen, die dem gesetzmäßigen Wandel der Natur unterliegen. Der Weise ermuntert sie nicht und folgt ihnen nicht; er hält sie nicht fest. Wir müssen den Geist trainieren, das Sichgehenlassen im Vergnügen und in schmerzhaften Gefühlen aufzugeben. Das ist die richtige Praxis. So wie der Baumstamm möglicherweise ins offene Meer gespült wird, findet der Praktizierende, der nicht an diesen beiden Extremen festhält, unvermeidlich Frieden.



Fußnoten

[31] Dhutanga bedeutet asketisch. Ein Dhutanga-Mönch verbringt Zeit auf Reisen (oft zu Fuß) auf der Suche nach einem ruhigen Platz für die Meditation, anderen Lehrern oder als Praxis selbst.



© Dhammapala Verlag (& Die Sangha, Wat Pah Nanachat)

Kloster Dhammapala, Am Waldrand, CH-3718 Kandersteg, Schweiz