Dhamma-Vorträge von Ajahn Chah
(Phra Bodhinyana Thera)
"Aufzupassen und über die verschiedenen Faktoren zu wachen,
die in der Meditation entstehen ist die Aufgabe von Sati...
(unsere geistesgegenwärtige Bewusstheit)... Sati ist lebenswichtig.
Wenn wir kein Sati haben,
sind wir unachtsam
und unser Tun und Sagen ist sinnlos.
Sati führt dazu,
dass Selbstgewahrsein und Weisheit entstehen."
Um den Geist zur Ruhe zu bringen, müssen wir das richtige Gleichgewicht finden. Wenn wir versuchen, ihn zu sehr zu zwingen, verfehlen wir das Ziel; doch wenn wir es nicht genug versuchen, kommt er auch nicht zur Ruhe. Das richtige Gleichgewicht ist sehr wichtig.
Normalerweise ist der Geist nicht ruhig. Er ist immer in Bewegung, und es fehlt ihm an Kraft. Den Geist zu stärken oder den Körper zu stärken, ist nicht das gleiche. Um den Körper zu kräftigen, müssen wir ihn bewegen und trainieren. Aber den Geist zu stärken, bedeutet, ihn zu beruhigen und nicht dauernd an dieses oder jenes zu denken. Den meisten von uns geht es so, dass der Geist niemals wirklich in Frieden war und noch nie die Kraft des Samadhi[1] hatte. Wenn wir in Meditation sitzen, richten wir den Geist in einem ganz bestimmten Bereich ein: Wir verharren mit dem in uns, das weiß!
Zwingen wir den Atem, entweder zu lang oder zu kurz zu sein, sind wir nicht ausgeglichen, und der Geist wird nicht ruhig. Wenn wir zum Beispiel eine Nähmaschine benutzen, die mit einem Fußpedal angetrieben wird, üben wir zuerst, um den richtigen Rhythmus zu erlangen, ehe wir überhaupt etwas nähen. Sich auf den Atem zu konzentrieren ist ähnlich. Wir beobachten ihn nur, und kümmern uns nicht darum, wie lang oder kurz, kräftig oder schwach er ist. Wir nehmen einfach zur Kenntnis, wie er ist, und lassen ihn so sein.
Wenn der Atem ausgeglichen ist, nehmen wir ihn als unser Meditationsobjekt. Beim Einatmen ist der Anfang des Atems an der Nasenspitze, die Mitte des Atems in der Brust und das Ende des Atems im Bauch. Das ist der Weg des Atems. Wenn wir ausatmen, ist der Anfang des Atems im Bauch, die Mitte in der Brust und das Ende an der Nasenspitze. Wir nehmen den Weg des Atems zur Kenntnis, um den Geist zu festigen, das heißt, damit die geistigen Aktivitäten zur Ruhe kommen und sich gleichzeitig Achtsamkeit und Bewusstheit etablieren können.
Nachdem wir mit der Kenntnisnahme der drei Punkte auf dem Weg des Atems wohl vertraut sind, können wir diese loslassen und nur noch das Ein- und Ausatmen betrachten, wobei wir uns auf die Stelle konzentrieren, wo der Atem ein- und ausgeht (die Nasenlöcher, die Nasenspitze oder die Oberlippe). Jetzt Folgen wir dem Atem nicht mehr, sondern richten unsere Aufmerksamkeit auf die Nasenlöcher und beobachten, wie er einkehrt und wieder heraustritt, einkehrt und wieder austritt... Es ist nicht nötig, an irgend etwas Bestimmtes zu denken. Wir konzentrieren uns mit fortwährender Achtsamkeit im Moment nur auf diese einfache Aufgabe. Weiter gibt es nichts zu tun, als ein- und auszuatmen.
Bald wird der Geist ruhiger und der Atem immer feiner. Geist und Körper werden leicht. Das ist der richtige Zustand für die Arbeit der Meditation.
Je länger wir sitzen und meditieren, um so feiner und subtiler wird der Geist. Doch wir sollten uns in jedem Moment des jeweiligen Zustandes des Geistes bewusst sein. Geistige Aktivitäten sind vorhanden, obwohl der Geist sich im Zustand der Ruhe befindet. Die geistige Aktivität, die den Geist zum Objekt der Meditation (das Ein- und Ausatmen) führt, nennen wir Vitakka. Wenn unsere Achtsamkeit nicht sehr stark ist, dann ist auch nicht viel Vitakka vorhanden. Zu Vitakka gesellt sich Vicara, die Aktivität des Geistes, die den Geist beim Meditationsobjekt verbleiben lässt. Verschiedene schwache geistige Eindrücke können von Zeit zu Zeit auftreten, aber wichtig ist unsere geistesgegenwärtige Bewusstheit. Was immer auch vorkommt, wir sind uns dessen bewusst, aber lassen uns dadurch von unserem Meditationsobjekt nicht ablenken. Während die Konzentration sich vertieft, sind wir uns fortwährend des Zustandes unserer Meditation bewusst und wissen, ob der Geist fest und sicher in Konzentration etabliert ist oder nicht. Achtsamkeit und Konzentration müssen gleichzeitig vorhanden sein.
Obwohl sich der Geist im Zustand der Ruhe befindet, sind geistige Eindrücke vorhanden. Wenn wir zum Beispiel die erste Stufe der vertieften Konzentration untersuchen, finden wir fünf Faktoren. Zusammen mit Vitakka und Vicara entwickelt sich Piti, Entzücken, das durch die vertiefte Ruhe entsteht, und dann Sukha, Glückseligkeit. Diese vier Faktoren befinden sich gemeinsam im Geist, der in Ruhe verharrt. Zusammen bilden sie einen einzigen Zustand.
Der Fünfte Faktor ist Ekaggata, die absolute Sammlung des Geistes in einem Punkt. Ihr werdet euch vielleicht wundern, wie die absolute Sammlung in einem Punkt vorhanden sein kann, wenn die anderen vier Faktoren auch anwesend sind. Das kommt daher, dass sich diese fünf Faktoren auf der Grundlage der Ruhe vereinigen. Zusammen und vereint sind sie der Zustand des Samadhi. Sie gehören nicht zum alltäglichen gewöhnlichen Zustand des Geistes, es sind die Faktoren der Vertiefung. Diese fünf Faktoren existieren gemeinsam, aber stören die grundlegende Ruhe des Geistes nicht. Vitakka ist vorhanden, aber stört den Geist nicht. Vicara, Piti und Sukha entstehen, aber stören den Geist nicht. Der Geist ist eins geworden mit diesen Faktoren. Das ist die erste Stufe der vertieften Konzentration oder das erste Jhana.[2]
Wir müssen es nicht das erste, zweite, dritte oder vierte Jhana nennen, wir wollen es einfach den Geist im Zustand des Friedens nennen. Wenn der Geist fortschreitend ruhiger wird, hören Vitakka und Vicara auf, und nur Entzücken und Glückseligkeit verbleiben. Warum werden Vitakka und Vicara losgelassen? Weil der Geist immer feiner wird, sind die Tätigkeiten von Vitakka und Vicara zu grob, um zu verbleiben. In dem Moment, wenn Vitakka und Vicara losgelassen werden, können Gefühle von starkem Entzücken auftreten. Aber mit weiterer Vertiefung der Konzentration und der damit verbundenen Vertiefung der Ruhe und Veredelung des Geistes hört auch das Entzücken auf. Nur Glückseligkeit und die absolute Sammlung des Geistes in einem Punkt verbleiben, bis schließlich auch die Glückseligkeit sich auflöst, und der Geist seine größte Veredelung erlangt. Es bleiben nur Gleichmut und die absolute Sammlung des Geistes, alles andere ist losgelassen worden. Der Geist verbleibt unbewegt.
Diese unerschütterliche Ruhe ist die Kraft des Friedlichen Geistes. Wenn der Geist erst einmal völlig zur Ruhe gekommen ist, kann dieser Zustand eintreten. Wir sollten nicht zu viel darüber nachdenken, denn es passiert von ganz alleine. In diesem Zustand ist der Geist nicht schläfrig. Keines der fünf Hindernisse, sinnliches Begehren, Aversion, Unruhe, Stumpfsinn und Zweifel, ist vorhanden.
Wenn die geistige Kraft noch nicht stark genug entwickelt ist, und unsere Achtsamkeit schwankt, werden gelegentlich geistige Eindrücke auftreten. Der Geist befindet sich zwar im Zustand der Ruhe, aber die Stille wird von Unachtsamkeit unterwandert. Hierbei handelt es sich um keine gewöhnliche Art von Schläfrigkeit oder Geistesabwesenheit. Eindrücke manifestieren sich (vielleicht hören wir ein Geräusch oder sehen einen Hund oder irgend etwas); es ist nicht wirklich klar, aber es ist auch kein Traum. Wenn das geschieht, sind die fünf Faktoren aus dem Gleichgewicht geraten.
Auf dieser Stufe der Ruhe neigt der Geist dazu, uns Streiche zu spielen. Es können mitunter bildliche Eindrücke entstehen, und der Meditierende mag nicht genau wissen, was passiert. "Bin ich eingeschlafen? Ist das ein Traum? Nein, das ist kein Traum!" - das passiert nur auf den mittleren Stufen der Ruhe. Wenn der Geist wirklich in Ruhe und völlig klar ist, besteht kein Zweifel in Bezug auf die verschiedenen Eindrücke oder Einbildungen, die vorhanden sein können, und Fragen wie - "Bin ich etwa eingeschlafen? War ich da eben geistesabwesend? Habe ich da den Faden verloren?" - kommen nicht vor. Wenn Zweifel auftaucht - "Bin ich wach oder träume ich" -, ist der Geist unklar und verliert sich in Stimmungen. Ähnlich wie der Mond, der hinter einer Wolke verschwindet, man kann ihn zwar immer noch sehen, aber die Wolken machen ihn unklar und undeutlich. Nicht wie der Mond, der hinter einer Wolke hervortritt - klar, scharf und hell.
Wenn der Geist fest in geistesgegenwärtiger Bewusstheit etabliert und wirklich in Ruhe ist, gibt es keinen Zweifel in Bezug auf die verschiedenen Phänomene, die wir antreffen. Wir wissen mit Klarheit, wie die Dinge sind, die auftauchen, denn der Geist ist klar und hell. Er ist wahrlich über die Hindernisse hinausgegangen, wenn der Zustand des Samadhi erreicht ist.
Manchen Leuten fällt es jedoch schwer, sich in Samadhi zu vertiefen; es entspricht nicht ihrer Neigung. Diese Leute erreichen zwar eine Art Samadhi, doch es ist nicht stark und gefestigt. Man kann aber auch durch genaue Betrachtung der Dinge die Wahrheit erkennen, und so durch Weisheit zur Ruhe kommen. Auf diese Weise werden Probleme gelöst, und der Geist findet Ruhe. Das nennt man den Gebrauch der weisen Einsicht an Stelle von Samadhi. Um den Geist zur Ruhe zu bringen, ist es nicht unbedingt nötig, sich hinzusetzen und zu meditieren. Wer über Weisheit verfügt, kann sich im gegebenen Moment Fragen, was eigentlich los ist, und seine Probleme mit Hilfe der Weisheit lösen. Vielleicht kann man nicht die höchste Stufe des Samadhi erreichen, aber entwickelt genug Konzentration, um Weisheit zu kultivieren. Es kann durchaus so sein, dass wir uns in unserer Praxis mehr der Weisheit bedienen, um unsere Probleme zu lösen. Wenn wir die Wahrheit erkennen, findet der Geist Ruhe. So wie man seinen Lebensunterhalt mehr auf Reis oder auf Mais aufbauen kann, stützt sich die Praxis entweder mehr auf Weisheit oder auf Samadhi.
Diese beiden Wege sind nicht gleich. Manche Menschen haben Einsicht, aber nicht viel Samadhi. Wenn sie in Meditation sitzen, fällt es ihnen schwer, den Geist zur Ruhe zu bringen. Sie neigen aber dazu, viel über dieses oder jenes nachzudenken, und erkennen die tiefgründige Wahrheit, wenn sie die Glückseligkeit und das Leiden analysieren. Manch einer neigt mehr dazu, als zum Samadhi. Egal ob wir stehen, gehen, sitzen oder liegen, zu jeder Zeit kann die tiefe Einsicht in das Dhamma[3] erfolgen. Durch Einsicht lässt der Geist die Dinge los und kommt zur Ruhe. So wird Frieden durch Erkennen der Wahrheit erreicht.
Andere haben wenig Weisheit, aber ihre Fähigkeit Samadhi zu entwickeln, ist sehr stark. Solche Leute können sehr schnell in die vertiefte Konzentration eintreten. Da sie aber nicht über genügend Weisheit verfügen, können sie ihre geistigen Unreinheiten nicht erfassen; sie kennen sie nicht und können deshalb ihre Probleme nicht lösen.
Egal, welchen Weg wir auch wählen, es ist wichtig, die falschen Vorstellungen zu beseitigen und nur die richtigen Ansichten bestehen zu lassen. Wir müssen die Verwirrung beseitigen und nur den Frieden erhalten. Es gibt die zwei Seiten der Praxis, aber diese beiden Seiten, die Ruhe und die Einsicht, gehören zusammen. Wir dürfen keine der beiden vernachlässigen. Sie müssen zusammen voranschreiten.
Aufzupassen und über die verschiedenen Faktoren zu wachen, die in der Meditation entstehen, ist die Aufgabe von Sati (unsere geistesgegenwärtige Bewusstheit). Hierbei handelt es sich um eine wesentliche Grundvoraussetzung für die Meditation, die wir durch Übung trainieren müssen, Sati ist lebenswichtig. Wenn wir kein Sati haben, sind wir unachtsam und unser Tun und Sagen ist sinnlos. Sati, unsere wachende Geistesgegenwart, führt dazu, dass Selbstgewahrsein und Weisheit entstehen. Wenn es uns an Sati fehlt, sind die Tugenden, die wir entwickelt haben, unvollkommen. Sati sollte zu jeder Zeit über uns wachen. Selbst wenn wir uns nicht mehr im Zustand des Samadhi befinden, sollte Sati immer vorhanden sein.
Was wir auch tun, durch Sati sind wir uns dessen bewusst, und wenn wir Dinge tun, die nicht korrekt sind, entsteht ein heilsames Schamgefühl. So wie dieses Schamgefühl zunimmt, wächst auch unsere gesammelte Bewusstheit und die Unachtsamkeit vermindert sich. Wenn Sati kultiviert wird, sind Selbstgewahrsein und Weisheit in uns gegenwärtig, auch wenn wir nicht in Meditation sitzen.
Sati zu entwickeln, ist äußerst wichtig! Es übersieht all unser Tun, Sagen und Denken. Es ist sehr brauchbar und wertvoll. Wir sollten uns zu jeder Zeit selbst kennen. Uns selbst zu kennen, bedeutet, dass wir richtig von falsch unterscheiden. So wird der "Weg" klar erkenntlich, und im Licht der Weisheit lösen sich die Ursachen für das Schamgefühl auf.
Der Weg der buddhistischen Praxis lässt sich zusammenfassen als Tugend, Sammlung und Weisheit.[4] Fassung und Selbstkontrolle sind Tugend. Die feste Etablierung des Geistes in der Selbstkontrolle ist Sammlung. Völlig überschauendes Wissen innerhalb der Tätigkeit, die wir gerade ausüben, ist Weisheit. Kurz gesagt besteht die Praxis nur aus Tugend, Sammlung und Weisheit. Das ist der "Weg". Es gibt keinen anderen Weg, der zur Freiheit des Geistes führt.
[1] Samadhi ist der Zustand der konzentrierten Ruhe, der in der Meditation entsteht.
[2] Jhana ist ein fortgeschrittener Zustand der Konzentration, in dem der Geist sich völlig in das Meditationsobjekt vertieft. Jhana wird in vier Stufen eingeteilt, jede Stufe feiner und subtiler als die vorhergehende.
[3] Dharma (Sanskrit) oder Dhamma (Pali): Phänomene, Erscheinungen und Vorgänge jeglicher Art werden als Dhammas bezeichnet. Dhamma beschreibt auch die Art, wie die Dinge von Natur aus sind sowie die den Dingen inne wohnenden Qualitäten. Dhamma ist ebenso das Prinzip, dem der Verlauf der Wandlung der Dinge unterliegt, wie auch das Prinzip des menschlichen Verhaltens, dem der Mensch Folgen sollte in Übereinstimmung mit der wahren Natur der Dinge. Dhamma bezeichnet außerdem die Eigenschaften des Geistes, die der Mensch entwickeln sollte, um die dem Geist inne wohnenden Qualitäten zu erkennen.
Dhamma (Dharma) wird auch die Doktrin genannt, die diese Dinge lehrt. Somit bezieht sich das Dhamma Buddhas direkt auf seine Lehre sowie auf die direkte Erfahrung von Nibbana, die Qualität, auf die die Lehre hinzielt.
[4] Die Begriffe Sila, Samadhi, und Pañña werden als die drei Lichter oder die drei Stützen der buddhistischen Praxis bezeichnet. In verschiedenen deutschen Übersetzungen werden diese Begriffe unterschiedlich wiedergegeben. Sila bedeutet Tugend, Sittlichkeit oder Moral, Samadhi wird als Konzentration oder Sammlung (des Geistes) übersetzt, während Pañña als Weisheit, Einsicht oder weise Erkenntnis wiedergegeben wird. In dieser Übersetzung werden stets die Ausdrücke Tugend, Sammlung und Weisheit benutzt.