Dhamma-Vorträge von Ajahn Chah
(Phra Bodhinyana Thera)
Die folgende Belehrung wurde einem Dialog zwischen Ajahn Chah und einer Gruppe westlicher Schüler entnommen; Er fand im Wat Gor Nork während der Regenzeit 1979 statt.
FRAGE: Wenn Sie über den Wert der Kontemplation sprechen, meinen Sie dann damit, dass man während des Sitzens über bestimmte Themen nachdenkt, z. B. über die 32 Bestandteile des Körpers?
ANTWORT: Das ist nicht notwendig, wenn der Geist wirklich still ist. Wenn Geistesruhe auf rechte Art entwickelt wurde, dann wird das richtige Forschungsobjekt offensichtlich sein. Wenn 'echte' Kontemplation vorhanden ist, dann gibt es kein Unterscheiden in Richtig und Falsch oder Gut und Schlecht; Es kommt dem noch nicht einmal nahe. Man sitzt nicht da und denkt: "Oh, dies ist so, und das ist anders", usw. Das ist eine grobe Form der Kontemplation. Meditative Kontemplation ist nicht einfach nur eine Sache des Denkens, sondern es handelt sich um das, was wir als 'Kontemplation in der Stille' bezeichnen. Während wir in unserer Alltagsroutine beschäftigt sind, betrachten wir achtsam die wahre Natur der Existenz, indem wir Vergleiche ziehen. Dies ist immer noch eine recht grobe Form der Betrachtung, aber sie führt in die richtige Richtung.
Wenn Sie darüber sprechen, Körper und Geist zu kontemplieren, heißt das dann, unser Denkvermögen zu benutzen? Kann Denken überhaupt wirkliche Einsicht produzieren? Ist das vipassana?
Am Anfang müssen wir damit arbeiten, unser Denken zu benutzen, obwohl wir später darüber hinausgehen. Wenn wir echte Kontemplation ausüben, dann ist jegliches dualistisches Denken zu Ende; andererseits müssen wir dualistisch betrachten, um überhaupt beginnen zu können. Schließlich gelangt aber alles Nachdenken und Kontemplieren an ein Ende.
Sie sagen, es müsse genügend Geistesruhe (samadhi) vorhanden sein, um kontemplieren zu können? Wie ruhig genau meinen Sie?
Ruhig genug, damit Geistesgegenwart bestehen kann.
Meinen Sie damit, beim Hier und Jetzt zu sein und nicht über die Vergangenheit und Zukunft nachzudenken?
Über die Vergangenheit und Zukunft nachzudenken ist nicht falsch, wenn Ihr versteht, worum es sich dabei handelt; aber Ihr dürft Euch davon nicht einnehmen lassen. Behandelt sie genauso, wie Ihr es mit anderen Dingen tun würdet; lasst Euch nicht darin verwickeln. Wenn Ihr Denken schlicht als Denken sehen könnt, ist das Weisheit. Glaubt nichts von alledem! Erkennt, dass es sich bei allem um etwas handelt, was entstanden ist und vergehen wird. Seht einfach alles so an, wie es ist: Es ist, was es ist; der Geist ist der Geist - er ist nicht irgend etwas oder jemand in sich selbst. Glücklichsein ist einfach Glücklichsein, Leiden ist einfach Leiden - es ist einfach, was es ist. Wenn Ihr das seht, werdet Ihr jenseits aller Zweifel sein.
Ich verstehe immer noch nicht. Ist echte Kontemplation das Gleiche wie Denken?
Wir benutzen Denken als ein Werkzeug, aber das Wissen, dass aufgrund seines Gebrauchs entsteht, geht über den Prozess des Denkens hinaus, es ist jenseits davon; es führt dahin, dass wir von unserem Denken nicht mehr getäuscht werden können. Man erkennt, dass es sich bei allen Denkvorgängen schlicht um die Bewegung des Geistes handelt, und ebenfalls, dass das Wissen nicht geboren wird und nicht stirbt. Was denkt Ihr, woher diese ganze Bewegung kommt, die wir als 'Geist' bezeichnen? Was wir im normalen Sprachgebrauch als den Geist bezeichnen, all diese Aktivität ist einfach nur der konventionelle Geist. Es handelt sich überhaupt nicht um den wahren Geist. Was wahr ist, ist einfach nur - weder entstehend noch vergehend.
Wenn man versucht, diese Dinge durch einfaches Darüber-Sprechen zu verstehen, dann wird das nicht funktionieren. Wir müssen wirklich Vergänglichkeit. Unzulänglichkeit und Unpersönlichkeit (anicca, dukkha, anatta) betrachten; d. h., wir müssen das Denken benutzen, um die konventionelle Realität zu kontemplieren. Das Resultat dieser Bemühung ist Weisheit; und wenn es sich um echte Weisheit handelt, dann ist alles getan, es ist zu Ende wir erkennen die Leere. Obwohl vielleicht noch Denken vorhanden sein mag, es ist leer. Man ist davon nicht betroffen.
Wie können wir dieses Stadium des wahren Geistes erreichen?
Man arbeitet natürlich mit dem Geist, den man bereits besitzt! Seht, dass alles, was entsteht, unsicher ist; dass es nichts gibt, was Substanz oder Stabilität hat. Seht das mit Klarheit und seht auch, dass es in Wirklichkeit nirgendwo etwas gibt, an das man sich festhalten könnte; es ist alles leer.
Wenn Ihr die Dinge, die im Geist entstehen, als das anseht, was sie sind, dann braucht Ihr mit dem Denken nicht mehr zu arbeiten. Ihr werdet in dieser Angelegenheit überhaupt keinen Zweifel mehr haben.
Über den 'wahren Geist' etc. zu sprechen, mag für uns von relativem Nutzen sein, um unserem Verständnis zu helfen. Wir erfinden dem Studium zuliebe Begriffe, aber in Wirklichkeit ist die Natur einfach, wie sie ist; z. B. wie hier unten auf dem Steinfußboden zu sitzen. Der Boden ist die Grundlage, sie bewegt sich nicht und geht nirgendwo hin. Oben über uns befindet sich das, was darauf entstanden ist. Die obere Etage ist vergleichbar mit dem, was wir in unserem Geist wahrnehmen: Form, Gefühl, Erinnerung, Denken. In Wirklichkeit existieren diese Dinge nicht auf die Art, wie wir es von ihnen annehmen; es handelt sich dabei einfach um den konventionellen Geist. Sobald sie entstehen, vergehen sie auch schon wieder; sie haben keine eigene Existenz.
Es gibt in den Schriften eine Geschichte über den Ehrwürdigen Sariputta, der einen Bhikkhu prüfte, ehe er ihm gestattete, auf Wanderschaft zu gehen. Er fragte ihn, was er antworten würde, sollte man ihm folgende Frage stellen: "Was passiert mit dem Buddha nach dem Tod?" Der Bhikkhu antwortete: "Wenn Form, Gefühl, Wahrnehmung, Denken und Bewusstsein entstehen, dann vergehen sie." Der Ehrwürdige Sariputta entließ ihn aufgrund dieser Antwort.
Natürlich handelt es sich im Rahmen der Praxis nicht nur um das Reden über Entstehen und Vergehen. Ihr müsst es für Euch selbst sehen. Wenn Ihr sitzt, schaut einfach, was in Wirklichkeit passiert. Lasst Euch auf nichts ein. Kontemplation bedeutet nicht, dass man sich im Denken verliert. Das kontemplative Denken von jemandem, der sich auf dem spirituellen Weg befindet, ist nicht mit weltlichem Denken vergleichbar. Je mehr man nachdenkt, um so verwirrter wird man, es sei denn, man versteht richtig, was mit Kontemplation gemeint ist.
Der Grund dafür, warum wir die Entwicklung von Achtsamkeit so betonen, ist der, dass wir klar sehen müssen, was abläuft. Wir müssen die Prozesse in unseren Herzen verstehen. Wenn solche Achtsamkeit und solches Verständnis präsent sind, dann hat man das Nötige getan. Was glaubt ihr, warum jemand, der den Weg kennt, niemals aus Impulsen des Ärgers oder der Täuschung handelt? Die Ursachen, damit solche Dinge entstehen können, sind einfach nicht vorhanden. Wo könnten sie auch herkommen? Die Achtsamkeit hat sich um alles gekümmert.
Bezeichnet man diesen Geist, über den Sie sprechen, als den 'Ursprünglichen Geist'?
Was meinst Du damit?
Es scheint so, als ob Sie sagen würden, dass es etwas außerhalb des herkömmlichen Körper-Geist-Systems (fünf khandhas) gäbe? Gibt es da noch etwas? Und wie bezeichnet man es?
Es gibt nichts, und wir benennen es auch nicht - das ist schon alles! Macht mit all dem Schluss. Sogar die Erkenntnis gehört niemandem, macht also auch damit Schluss! Das Bewusstsein ist kein Individuum, kein Wesen, kein Selbst oder davon unterschieden - macht also Schluss damit, macht Schluss mit allem! Es gibt nichts, was zu begehren sich lohnen würde! Es beschert uns nur eine Menge Sorgen. Wenn Ihr es auf diese Weise klar seht, dann ist alles beendet.
Könnten wir es nicht als den 'Ursprünglichen Geist' bezeichnen?
Wenn Du darauf bestehst, kannst Du es so nennen. Du kannst es bezeichnen, wie Du willst, der konventionellen Realität zuliebe. Aber Ihr müsst diesen Punkt richtig verstehen, dies ist sehr wichtig. Wenn wir nicht von der konventionellen Realität Gebrauch machen würden, dann hätten wir keine Worte oder Begriffe, mit denen wir die wirkliche Realität - Dhamma - betrachten könnten.
Über was für einen Grad an Geistesruhe sprechen Sie in diesem Stadium? Und wie ist die Qualität der Achtsamkeit beschauen, die man benötigt?
Ihr braucht so nicht zu denken. Wenn Ihr die rechte Geistesruhe nicht hättet, dann wäret Ihr gar nicht in der Lage, Euch mit diesen Fragen zu beschäftigen. Ihr braucht genügend Konzentration und Stabilität, um zu wissen, was vor sich geht, genügend, damit Klarheit und Verständnis entstehen können.
Solche Fragen zu stellen, zeigt, dass Ihr immer noch zweifelt. Ihr benötigt ausreichend Geistesruhe, um Euch nicht länger von den Zweifeln einnehmen zu lassen, die sich um Euer eigenes Tun drehen. Wenn Ihr die Praxis ausgeführt hättet, dann würdet Ihr diese Dinge verstehen. Je mehr ihr mit dieser Art des Fragenstellens fortfahrt, desto konfuser gestaltet Ihr es. Es ist gut zu sprechen, wenn das Sprechen der Kontemplation dient, aber es wird Euch nicht den Weg zu den Dingen zeigen, wie sie sind. Den Dhamma versteht man nicht aufgrund dessen dass Euch jemand anders etwas darüber erzählt; Ihr müsst ihn selbst sehen - paccattam.
Wenn Ihr diejenige Qualität des Verständnisses besitzt, über die wir gesprochen haben, dann sagen wir, dass Eure Pflicht, irgend etwas zu tun, vorbei ist; Das bedeutet, dass Ihr überhaupt nichts tut. Wenn es immer noch etwas zu tun gibt, dann ist es Eure Pflicht, es zu tun.
Legt auch weiterhin einfach alles ab, in dem Wissen, dass es das ist, was Ihr tut. Ihr braucht Euch nicht ständig selbst zu überprüfen und Euch darüber zu sorgen, wie viel samadhi Ihr nun wohl habt; Es wird immer die richtige Menge vorhanden sein. Was auch immer in Eurer Praxis entstehen mag, lasst es gehen in der Gewissheit, dass alles unsicher und vergänglich ist. Erinnert Euch daran! Es ist alles unbeständig. Macht allem ein Ende! Dies ist der Weg, der Euch zum Ursprung bringt - zu Eurem 'Ursprünglichen Geist'.